Mittwoch, 07. Mai 2025
Pflichteinführung im Chaos
Fünf Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes ist es am 1. Mai 2025 so weit: Passfotos nur noch digital! Die Behörden hatten also genug Zeit zur Vorbereitung – sollte man meinen.
Spoiler: Dem war nicht so.
Schon im Vorfeld warnten viele vor dem absehbaren Chaos, weil zahlreiche Bürgerämter schlicht nicht vorbereitet waren. In vielen Städten fehlten die nötigen Foto-Terminals. Das Startdatum kam offenbar völlig überraschend – nach nur fünf Jahren Vorlaufzeit. Die Folge: Eine Übergangsfrist bis Ende Juli musste her. Denn selbst den Verantwortlichen war klar, dass viele Ämter das neue Verfahren nicht stemmen konnten.
Willkommen in der analogen Verlängerung der Digitalisierung.
Symbolbild: Digitalisierung trifft Wirklichkeit
Gleich am ersten Werktag nach Inkrafttreten brach das System reihenweise zusammen.
Beispiel Potsdam: Dort konnte der Bürgerservice keine digitalen Passbilder verarbeiten.
Technische Störung – natürlich. Betroffen waren sowohl die neuen Selbstbedienungsterminals als auch die QR-Code-Uploads der Fotografen.
Die Lösung? Gedruckte Passbilder – also genau das, was seit dem 1. Mai eigentlich verboten war.
Und Potsdam war nicht allein. Seit dem 2. Mai meldeten zahlreiche Kommunen deutschlandweit Ausfälle.
Bundesweite IT-Panne – wer hätte das gedacht?
Ich, als Testmanager, zum Beispiel.
Fehlende Ausrüstung und schleppende Lieferungen
Während manche Städte mit ausgefallener Technik kämpften, hatten andere nicht mal Geräte.
In Ludwigsburg war zum Stichtag kein einziges neues Terminal verfügbar. Die Geräte wurden schlicht nicht rechtzeitig geliefert.
Und Ludwigsburg ist kein Einzelfall: In ganz Baden-Württemberg fehlen Terminals.
Villingen-Schwenningen bestellte zehn Stück, bekam zunächst genau eines geliefert.
Unzureichende Vorbereitung trifft auf Lieferchaos.
Ein Hoch auf die Bundesdruckerei!
Übrigens: In Thüringen lief es besser. Dort waren viele Ämter längst ausgestattet. Glück? Planung? Egal. Der Rest durfte halt nachsitzen.
In Städten wie Nürnberg oder Kassel wurde die neue Pflicht einfach vertagt. Papierfotos weiterhin erlaubt – Digitalisierung light, sozusagen.
Technikpanne mit Ansage: die Fotocloud fällt aus
Jetzt wird’s richtig gut.
Das Herzstück der neuen Passfoto-Vergabe ist die angeblich sichere Fotocloud. Fotograf macht Bild, lädt’s hoch, Bürger bringt QR-Code mit, Amt ruft Bild ab.
Theorie.
In der Praxis: QR-Codes wertlos, Cloud nicht erreichbar.
Zentrales System tot, bundesweite Ausfälle.
In Bremen gab’s wenigstens eine Notlösung: Die Mitarbeiter machten einfach selbst ein digitales Bild vor Ort – kostenlos.
Andernorts? Keine Kulanz, kein Plan B.
Erst am 5. Mai wurde ein zentraler Software-Fehler offiziell eingeräumt.
Eine Woche Ausfall – bei gesetzlich vorgeschriebener Nutzung.
Und die Cloud war ja nicht das einzige Problem – auch das Abrufen aus dem System scheiterte in vielen Städten komplett.
Kommunikationspannen: Bürger im Regen stehen gelassen
Die Krönung des Ganzen war die Kommunikation.
In Halver etwa wurde ein frisch installierter Automat nach wenigen Tagen stillgelegt – defekt.
Der handschriftliche Hinweis:
„Bitte nicht an/aus schalten! KEINE Knöpfe drücken.“
Hightech aus dem Lehrbuch.
Bürger wurden amtsseitig heimgeschickt, weil niemand wusste, ob ein analoges Foto ausnahmsweise akzeptiert werden darf.
Zwei Tage später kam dann die Erleuchtung: Papier geht vorerst doch wieder.
Man entschuldigte sich, versprach spontane Nachbearbeitung.
Aber klar ist: Niemand wusste, wie zu handeln war.
Kein Failover-Konzept. Keine klare Kommunikation. Kein Plan.
Fazit aus Testmanager-Sicht
Als Testmanager bleibt mir nur eins:
Kopfschütteln.
Ungetestete Abläufe, unzuverlässige Technik, fehlende Kommunikation – ein Paradebeispiel für gescheiterte Digitalisierung.
Man hatte Jahre zur Vorbereitung.
Man wusste, was auf dem Spiel steht (Stichwort: Manipulationssicherheit).
Und trotzdem: Keine flächendeckende Teststrategie, keine Fallbacks, kein sauberer Rollout.
Statt Pilotphasen mit anschließender Skalierung hat man sich für Live-Betrieb mit Bevölkerung als Testumgebung entschieden.
Wenn das Absicht war: Respekt für den Mut.
Wenn nicht: Willkommen in der Realität.
Am Ende tragen die Bürger die Konsequenzen. Die Regierung verordnet digitale Verfahren, ohne dafür zu sorgen, dass sie überhaupt funktionieren.
Die Bundesdruckerei liefert nicht rechtzeitig, die Fotocloud bricht zusammen, die Kommunikation mit den Bürgern versagt.
Und niemand übernimmt Verantwortung.
Immerhin für mich eine gute Nachricht:
Solange solche Projekte Realität sind, bin ich als Testmanager mehr als ausgelastet.
Der digitale Staat 2025:
Viel gewollt, wenig getestet.
Ich lehne mich zurück, halte meinen Rotstift bereit – und sage: Gerne geschehen.
Quellen
Potsdam.de – Ab 1. Mai: Passfotos für Ausweise nur noch in digitaler Form (Pressemitteilung, 29.04.2025)【3】
rbb24 – Technische Störung bei Digitalfotos: Potsdamer Bürgerservice akzeptiert doch wieder nur gedruckte Passbilder (07.05.2025)【8】
come-on.de – Technische Störung: Probleme mit digitalen Passfotos (Halver) (09.05.2025)【5】
SWR Aktuell – Digitale Passfotos: Viele Städte in BW klagen über Lieferprobleme und IT-Störungen (09.05.2025)【14】
Frankfurter Rundschau – In vielen Städten droht ab 1. Mai Chaos: Wo Sie ein digitales Passfoto erhalten (01.05.2025)【31】
Stadt Ludwigsburg – Digitale Passbilder: Engpässe bei der Auslieferung der Geräte (Pressemitteilung, 29.04.2025)【26】
tagesschau.de – Thüringen: Nicht alle Kommunen bieten den Service derzeit an (01.05.2025)【29】
butenunbinnen.de – Digitale Fotos für Ausweise: Bremer Behörde kann QR-Code nicht lesen (02.05.2025)【21】
essen.de – Übermittlung digitaler Passbilder wieder funktionsfähig (Pressemeldung Stadt Essen, 08.05.2025)【20】